Die Zecke, das unbekannte Wesen ...

Als ich mich dazu entschlossen hatte, die Zecke zu einer zentralen Figur meiner Erzählung zu machen, wurde mir bewusst, wie wenig ich eigentlich über diesen Parasiten weiß. Dies holte ich nach, und beschäftigte mich besonders mit den Entwicklungsstufen der Zecke und ihrer Rolle als Überträgerin verschiedenster Krankheitserreger, allen voran der durch Bakterien übertragenen, häufigen Borreliose und der seltener auftretenden FSME, der Frühsommer-Meningoenzephalitis, die wiederum durch Viren verursacht wird.

Ich entdeckte außerdem, dass der Umgang mit diesem Thema nicht nur sehr angstbeladen, sondern auch häufig mit falschen Informationen befrachtet ist - es also eine große Verunsicherung auf diesem Gebiet gab und gibt - nicht etwa nur bei den umstrittenen FSME-Schutzimpfungen. Auch aus meiner eigenen Umgebung hörte ich zum Beispiel von Müttern, die ihre kleineren Kinder wegen der Zeckengefahr im Sommer partout nicht mehr auf einer Waldwiese herumlaufen ließen - obwohl sich die Zecken bekanntlich mindestens genauso gerne im eigenen Garten oder am eigenen Haustier aufhalten. Keine Frage, die Zecken sind für die meisten von uns trotz aller Aufklärungsmöglichkeiten nach wie vor wahrhaftig teuflische Wesen ... bedenkt man, dass nach Angaben des Borreliose und FSME Bund e.V. etwa die Borreliose inzwischen die häufigste bakterielle Infektionskrankheit in Deutschland ist, werden die Ängste vor der Zecke tatsächlich beunruhigend real.

Ich wollte die Kinder in der "Zecke des Zaren" deshalb nicht nur unterhalten, sondern sie nebenbei auch mit verständlichen Worten zum Thema Zecke informieren. Dabei erkrankt der Hauptprotagonist meiner Erzählung, Bellissimus Bullebartsch, an einer Borreliose, auch wenn ich dies natürlich nicht in den Erzähltext hineingeschrieben habe, da die Erkrankung vor vielen hundert Jahren noch nicht bekannt war. Auch bei ihm kommt es zu den klassischen grippeartigen Beschwerden wie Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen, und auch er sieht an der Einstichstelle die für Borreliose typische (wenn auch nicht immer auftretende) ringförmige "Wanderröte". Behandelt werden konnte die Erkrankung in meiner fiktiven Vergangenheit natürlich ebenfalls noch nicht mit dem heute gängigen Antibiotika - die Behandlung des Zaren erfolgt auf naturkundlicher Basis, mit der Wilden Karde (Dipsacus fullonum L., oder synonym Dipsacus sylvestris Huds.) - einer Pflanze, deren Wirkstoff aus der Wurzel in den letzten Jahren auch bei uns populärer geworden ist.

Als das Buch fertig geschrieben war, bat ich den schwedischen Zeckenforscher Werner Johansson, der hier ebenfalls in Bayerisch-Schwaben ansässig ist, und der die schwedische Zeckenschlinge vertreibt, die entsprechenden Stellen kritisch durchzulesen. Er machte mich besonders darauf aufmerksam, dass die Zecke entgegen der gängigen Umgangs- und Pressesprache nicht beißt, sondern sticht - eine durchaus wichtige Unterscheidung, die jeder, der schon einmal von der Zecke gestochen wurde, auch leicht an der verletzten Haut, der Einstichstelle, erkennt. Mit der Zeckenschlinge habe ich übrigens persönlich bei unserem Kater schon sehr gute Erfahrungen gemacht - in einer historisch-hölzernen Ausführung, versehen mit einer Rosshaar-Schlinge, entfernt sie auch in meiner Erzählung die schon ordentlich vollgesogene Zecke des Zaren mit Erfolg.

 

Exklusiv auf dieser Seite: Die Zecke stellt sich persönlich vor!

Während meiner Recherchen zum Thema begann ich nebenbei, die Entwicklungsstufen der Zecke in eine kleine Versuchsgeschichte einzubetten. Bald stellte sich heraus, dass zumindest eine solche, in Ich-Form geschriebene Erzählung definitiv zu makaber und seltsam für Kinder sein müsste - ich verwarf sie daher und wandte mich alsbald der Idee der "Zecke des Zaren" zu.

Wer sich jedoch ein unterhaltsames Bild vom harten und wirklich faszinierenden Leben einer Zecke - in diesem Fall einer sehr ehrlichen und direkten Holzbock-Dame - machen möchte, sei hier herzlich eingeladen, dies zu tun - jüngeren Kindern sei an dieser Stelle jedoch empfohlen, den Text vorher sicherheitshalber kritisch von einem wohlmeinenden Erwachsenen prüfen zu lassen ...

 

 

 

Ixodes Ricinus Diabolos (gemeiner, teuflischer Holzbock)

Gestatten? Mein Name ist „ixodes ricinus“, Gemeiner Holzbock. Dieser Name ist mir allerdings völlig zuwider, denn weder bin ich gewöhnlich noch wirklich gemein. Und böse oder teuflisch schon gar nicht, wie es sich beispielsweise der werte Pope Dollotschki in der Erzählung „Die Zecke des Zaren“ zu behaupten erdreistet hat. Nein, meine Teuersten, ich bin ein harmloser Blutsauger, sonst nichts. Haben Zecken ein Gewissen? Hat der Teufel eins? Eben. Aber auch er hat einmal ganz klein angefangen – genauso wie ich.


Ich erblicke das Licht der Welt - oder: als ich noch eine niedliche Larve war

Ich war im allerletzten, dem dreitausendsten Ei versteckt. Ich, ein klitzekleines, niedliches Holzbock-Weibchen. Zusammen mit einigen meiner unzähligen Geschwister klebte ich unter einem großen Bärlauchblatt. Wir waren fast nicht zu sehen!

Zufrieden kauerte ich in meinem Ei. Meine liebe Mama hatte gut vorgesorgt. Wirklich schade, dass sie genau in dem Moment vor Erschöpfung umfiel, als sie uns endlich fertig unter die schwer duftenden Blätter geklebt hatte. Sie stand nie wieder auf. Aber dem braven Papa war es ja nicht besser ergangen. Nachdem er erfolgreich vom Holzbock zum Balzbock mutiert war, fiel auch er einfach um. Peng, tot! Aber dafür hatte er Mama wahrlich zur Leibhaftigen gemacht, zu einer fantastischen Eierfabrik, durch die auch ich das Licht der Welt erblickte. Wir Zecken kommen nun mal als Waisenkinder auf die Welt und müssen uns dann ganz alleine durchbeißen, äh ... -stechen, wie man ja richtig bei euch sagt.

Es waren meine Geschwister, die mich eines Tages in ihren wackelnden Eiern unsanft aus meinen Träumen rissen. Das Blatt unter mir bebte. Wahrscheinlich wollten meine Nebenbuhler schon vor mir hinaus in die schöne Frühlingssonne. Aber nicht mit mir! So schnell es ging, sägte ich meine Eihaut durch, schlüpfte heraus und schlich mich als erste Larve meiner Geschwisterbrut davon. Wer hält es auch freiwillig mit 2999 anderen elternlosen Geschöpfen auf einem stinkenden Gewächs aus? Ich, die allerletzte Krönung meines Stammes, wollte wenigstens als erste in die verheißungsvolle Freiheit. Wie heißt es so schön bei euch? Die Letzten werden die Ersten sein!

Ich nahm meine sechs Beinchen in die Hand und flitzte davon – so schnell es eben ging, denn zu diesem Zeitpunkt war ich noch nicht besonders groß. Um ehrlich zu sein: Ich war erst einen halben Millimeter groß. Trotzdem kam ich ganz gut voran und wuselte mich durch das dichte Blattwerk hinunter bis zum Boden. Wo ich war, wusste ich nicht. Wie sollte ich auch, schließlich hatte ich ja keine Augen im Kopf! Wenn ich andere Krabbler in meiner Nähe witterte, stellte ich mich tot. Mir hängt ja meine gute Nase nicht hässlich im Gesicht wie bei euch, sondern unten an meinen Vorderbeinen. Nun ja, die anderen Insekten wollten trotzdem nichts von mir wissen. Vielleicht haben sie mich auch nicht richtig gesehen, weil ich noch so ein süßer kleiner Fratz war – wer weiß? Nach einer kleinen Weile fühlte ich, wie der Boden unter mir nachgab. Ein riesiger, nasser Wasserschwall erfasste mich und ich wäre fast ertrunken. Ich beschloss, mir besser eine geschützte Stelle im Unterholz zu suchen. Hier war ich fürs erste allein. Ich machte es mir an meinem neuen Platz bequem und einen Augenblick später war ich eingeschlafen.


Meine erste Blutmahlzeit - oder: Schmaus mit der Maus

Plop. Plop. Plop-Plop! Es waren die betonschweren Wassertropfen, die mich wieder aufschreckten. Wie viel Zeit war inzwischen vergangen? Ich hatte keine Ahnung. Aber ein tiefes Grummeln in meinem Bauch verriet mir, dass ich langsam Hunger bekam. Minuten vergingen, Stunden vergingen. Nur der Regen und der Wind sorgten für etwas Abwechslung. Aber sonst pure Langeweile. Aus den langen Stunden wurden noch längere Tage und mein Hunger wurde unerträglich. Wozu war ich denn aus dem prallen Leib meiner Mutter gequetscht worden? Nichts regte sich, keiner kam vorbei, an den ich mich hätte hängen können. Hoffentlich musste ich hier nicht elend verhungern, bevor mein aufregendes Zeckenleben überhaupt angefangen hatte ...

Meine Kräfte schwanden von Tag zu Tag. Ich musste doch überleben! Verbissen blieb ich hocken, bereit, an alles anzudocken, was auch nur ein Tröpfchen Lebenssaft in sich hat. Ich war nur noch ein Schatten meiner selbst, als das Wunder geschah. Etwas Dunkles, Großes strich durch mein Revier und kam mit seinem verheißungsvollen Duft genau an meinem Sitzplatz entlang. Ich krabbelte mit einem Satz auf den warmen Pelz – es war eine junge Maus! - und hielt mich mit allen Kräften an ihr fest. Mein Körper zitterte vor Aufregung, weil die hektische Maus ständig hin und her zappelte, so dass ich mehrere Male fast heruntergefallen wäre. Aber ich schaffte es, mich festzuhalten. Sind wir Holzböcke nicht verdammt bockig?

Irgendwann wurde meine Maus ruhiger und machte eine Verschnaufpause. Als sie zu dösen begann, krabbelte ich mit letzter Kraft an die dünnste und am besten durchblutete Stelle ihres Bauches. Ihr Körperschweiß raubte mir fast die Sinne! Dann ritzte ich meinen Picknickplatz mit meinen Kieferklauen ein bisschen ein, so dass ein kleines Loch entstand. Die Maus erzitterte kurz, schlief aber bald weiter. Ich stach zu. Damit ich mit meinem Saugrüssel ungestört saugen konnte, benutzte ich mein Zaubermittel, meinen Speichel. Mit ihm konnte ich die Einstichstelle betäubten, verklebten und das Blut schön flüssig halten. Ich war im 7. Himmel! Das Blut, das ich Tropfen für Tropfen genüsslich aufleckte, ließ mich leben, leben, leben! Weil ich viele, praktische Widerhaken besitze, brauchte ich mir auch keine Sorgen zu machen, dass ich von meiner Maus plötzlich herunterrutsche, oder dass sie nach mir schnappt: An meinen Platz kam sie unmöglich heran. Ich fühlte mich so sicher und erfüllt wie nie zuvor in meinem kurzen Leben. Ich, der kleine, gemeine Holzbock hatte eine liebe Freundin gefunden.

Aber eigentlich war meine Freundin gar nicht so lieb. Mit ihrem Blut saugte ich nämlich auch ihre ekligen Bakterien ein, die sich lustig in meinem Darm vermehren sollten. Lecker waren sie auch nicht gerade. Dabei hatte ich von meiner Mutter wahrlich genug Viren vererbt bekommen, die genauso widerlich schmecken, und die sich vor allem in meinen Speicheldrüsen ungefragt ausgebreitet hatten. Was konnte ich denn dazu? Nichts. Unsere Wirtsleute sind schuld. Auch meine Mama konnte nichts für ihre Viren, die hatte sie auch von einer Maus bekommen. Deswegen war ich jetzt auch auf meine Maus nicht so gut zu sprechen. Habt ihr außerdem jemals am Bauch eines so nervösen Wesens kleben müssen? Eure albernen Karusselfahrten sind sicher nichts dagegen. Eins jedoch wunderte mich. Obwohl ich ständig durchgeschüttelt wurde, wurde ich trotzdem immer dicker. Nach drei Tagen wurden mir die Maus-Eskapaden langsam zu viel, schon beim leisesten Rucker musste ich aufstoßen. Mir wurde übel und ich hatte das Gefühl, bald platzen zu müssen - ich war pappsatt. Bei der nächsten Gelegenheit, als meine Wirtsmaus tief und fest schlief, ließ ich los und suchte mir ein neues Quartier. Wieder hatte ich Glück. Ich fand eine schöne feuchte, warme Stelle im Gebüsch und erholte mich erst einmal ausgiebig von meinem ersten, erfolgreichen Blutrausch.


Hilfe, ich zerbreche! - oder: Als ich zu einem richtigen Spinnentier wurde

 

Meine Erholungsphase dauerte sehr lang. Aber weil ich so schön satt war, machte mir das überhaupt nichts aus. Wochen verstrichen, in denen ich mich immer schläfriger fühlte. Mein Körper war wie gelähmt, kribbelte und zog auf eigenartige Weise. Ich wusste nicht, ob ich träume oder wache. Ich schwebte durch eine rosarote Welt und hatte das merkwürdige Gefühl, wieder in meinem Ei zu sein. Es prickelte an meinem ganzen Körper so intensiv, dass ich innerlich zu erbeben begann. Ich erwachte erst aus dem Traum, als ich ein hartes Knacken verspürte. Mein schöner Rückenpanzer war aufgebrochen! Je mehr ich mich bewegte, umso mehr platzte von mir auf. Ich konnte aus meinem eigenen Körper schlüpfen ... Trotzdem tat es nicht weh. Meine Glieder waren wieder so weich und verletzlich wie mein erster, alter Larvenkörper. Ich fühlte mich wie neugeboren! Ich streckte meine neuen Fühler aus und spürte, dass mir neue Greifzangen und zwei neue Beine gewachsen waren. Nun besaß ich acht Beine, endlich war ich ein richtiges Spinnentier, das ich als Milbe ja von Haus aus bin. Außerdem war ich jetzt schon auf eine Größe von fast zwei Millimeter angewachsen! Neben mir lag mein altes Zeckenkleid. Ich hatte mich gehäutet und war zu einer stattlichen Nymphe geworden.

 

Doch bald merkte ich, dass mein zweites Leben als Zecke auch nicht weniger anstrengend war als das erste. Ich ächzte und stöhnte, denn dieser Sommer versprach, alle Hitzerekorde zu brechen. Auch den anderen kleinen und großen Holzböcken um mich herum ging es nicht besser, schließlich lieben wir es zwar feucht und warm, aber nicht heiß. Und so schlossen wir Einzelgänger uns ausnahmsweise im Schatten zusammen und begannen, einen riesigen Haufen zu bilden. Wir markierten die Büsche und Blätter mit einem ganz speziellen Duftstoff und langsam, aber sicher strömten immer mehr von uns aus allen Richtungen zusammen. So überlebten wir diese Hitzeperiode gemeinsam und trockneten nicht aus.

Doch sobald der nächste Sommerregen einsetzte, war es mit unserer ungewöhnlichen Freundschaft vorbei. Jeder ging wieder alleine seiner Wege. Für mich zog sich der Sommer schier endlos dahin. Keine warme Mahlzeit weit und breit, niemand hatte Erbarmen mit mir. Aus Verzweiflung klammerte ich mich an alles, was sich irgendwie bewegte oder anders roch – was manchmal ganz schön peinlich war! Doch kein wirklicher Warmblüter streifte meinen Weg und erlöste mich. Als sich der Sommer seinem Ende genähert hatte und mit den Temperaturen auch die ersten Blätter fielen, gab ich meine Hoffnung auf. Die unbekannte Kälte hatte aus mir einen steifen Milbenklotz gemacht, der sich kaum noch auf seinen Füßen halten konnte. Ich beschloss widerwillig, abzutauchen und auf bessere Zeiten zu warten. So verkroch ich mich so tief es ging in ein dunkles, trockenes Loch, klappte alle meine Sinnesorgane ein, und rührte mich nicht mehr von der Stelle.


Mein Leiden hat ein Ende - oder: Mit dem Eichhörnchen im 8. Himmel!

Ich war davon überzeugt, dass dies mein Ende war. Wie viele meiner Leidensgenossen hatten im Winter schon ihr Leben lassen müssen! Doch ich hatte Glück, denn dieser Winter schien ein ungewöhnlich milder Winter gewesen zu sein. Als der Frühling wieder ins Land kam, erwachte ich eines Tages von lautem Vogelgeschrei. Ich hatte nur eins, riesigen Kohldampf und unbändige Abenteuerlust. Die ungewohnte Wärme glättete meinen ausgemergelten Nymphenkörper und ließ mich bald einen neuen Ausguck im Gras erobern. Sofort ging ich in Lauerstellung, meine Sensoren waren in Höchstform. Die nervösen Krabbler um mich herum ignorierte ich, ich wollte jetzt zu Höherem hinaus! Doch ich musste erneut viel Geduld haben - es wurde der härteste Monat meines Lebens.

An einem freundlichen, sonnigen Tag war mir das Glück endlich wieder hold. Ein warmes, gut duftendes Eichhörnchen hüpfte an mir vorbei! Behände stieß ich mich mit meinen Hinterbeinen ab und hievte mich elegant auf ihren rotbraunen Pelz. Wären die Haare meiner neuen Freundin nicht so dicht gewesen und hätten mich nicht ein paar umher springende Flöhe geärgert, wäre ich noch schneller hinter ihre Ohren gekrabbelt. Ein ausgezeichneter Essplatz! Angekommen dauerte es noch eine Weile, bis ich mich zu meiner bevorzugten Stelle durchgekämpft hatte. Ich stach sofort zu und begann, meinen Körper mit dem ihren zu verkleben. Das machte wieder ganz schön Arbeit, doch nach einer Weile hatte ich meine Quelle zum Fließen gebracht. Diesmal war ich im 8. Himmel!

Ich trank so gierig, dass ich bald aufstoßen musste. Bei meinem Eichhörnchen war es wie bei meiner Maus: Ein paar Dinge aus ihrem sonst ganz leckeren Blut konnte ich nicht verdauen und musste sie dann jedes Mal wieder heraus würgen. Ganz schön lästig! Ehrensache, dass ich dem Eichhörnchen dabei auch ein paar von meinen neuen Viren und Bakterien abgab – wie du mir, so ich dir. Nachdem mein erster Hunger gestillt war, entspannte ich mich. Ich wusste, ich war wieder im Paradies, und diesmal durfte ich sogar noch ein paar Tage länger darin verweilen!


Ich werde eine echte Zeckendame - oder: Endlich erwachsen!

Satt und zufrieden schlich ich mich eines Nachts wieder davon, das heißt, ich torkelte eher davon, denn mein neues Gewicht machte mir schwer zu schaffen. Hätte ich gewusst, dass es noch einmal ein Jahr dauern würde, bis ich wieder trinken darf, ich wäre sicher auch noch schwermütig geworden. Doch jetzt war ich zu satt, um auch nur an irgendetwas zu denken. Ich fühlte, dass ich wieder ein längeres Verdauungspäuschen brauchte, zog mich in ein ruhiges Gebüsch am Boden zurück und ergab mich erneut meinem Schicksal.

Schicksal? Hatte ich das nicht exakt schon einmal erlebt? Die rosarote Welt, das Ziehen und Prickeln, die merkwürdige Trägheit und Spannung in mir? Eines Tages spürte ich plötzlich neben mir einen riesigen Hautpanzer liegen. Es war wieder mein eigener, ich war zum zweiten Mal aus mir heraus gewachsen – nun auf eine Größe von über vier Millimeter! Und noch etwas hatte sich verändert: Mein Schild lag nur noch auf meinem Oberkörper, hinten zwängte mich nichts mehr ein. Natürlich, damit ich bald mehr Platz für noch mehr Blut hatte und für meine zukünftigen Eier. Ich hatte es die ganze Zeit schon geahnt. Ich war nicht nur endlich erwachsen, nein, ich hatte mich in eine attraktive, rotbraun schimmernde Zeckendame verwandelt!

Ausgestattet mit neuem Selbstbewusstsein lief ich in der darauf folgenden Zeit hektisch überall herum, um meinen neuen Körper und meine neuen Kräfte zu testen. Und wie ich jetzt klettern konnte – bis zu 1,5 Meter hoch! Stellt euch vor, ihr würdet ungefähr 500 mal aufeinander gestapelt - dann hättet ihr die Höhe erreicht, auf der ich jetzt saß. Ein Glück, dass ich blindes Huhn schwindelfrei bin! Die hinteren Beinpaare fest auf den Untergrund geklammert, ging ich erneut in Lauerstellung.

Ich war sicher, beobachtet zu werden - besonders, das roch ich, von den gezeckten Herren. Doch meine Blutvorräte mussten noch für ein ganzes Jahr reichen. Wieder war Geduld gefragt. Der Sommer kam und ging und von Tag zu Tag schwand meine Aussicht auf eine warme Mahlzeit weiter. Wenigstens konnte ich mit dem Hunger inzwischen einigermaßen umgehen, wusste ich doch inzwischen, dass es unsereins auch einmal zwei Jahre und noch länger ohne Essen aushalten kann. Schafft das ein Eichhörnchen, ein Hirsch oder ein Mensch wie ihr? Eben. Ich war stolz, dass mich die Natur so stark und zäh gemacht hatte. Ja, ich war stolz, eine Zecke zu sein!


Nur Geduld - oder: Die Krönung, ein Menschenkind!

Es muss im nächsten Frühling gewesen sein. Die Sonne blinzelte schüchtern durch die Blätter des Waldes, während ich geduldig am Wegesrand auf einem hochgewachsenen Kraut verharrte, das mir den besten Andockplatz bot. Ich träumte von frischen Rehkitzen, die glücklich durch die Luft sprangen. Aber auch einen Zweibeiner mit schöner nackter Haut würde ich nicht abweisen. Zwei große Exemplare eurer Art waren Tags zuvor schon an mir vorbei gesaust, ehe ich sie recht erschnuppert hatte. Doch heute vibrierte der Boden unter mir länger. Ich wurde zuerst von einer Hundewolke umhüllt, die sich mitsamt einem daher fliegenden Stöckchen aber schnell wieder entfernte, bis ich einen lieblichen Duft vernahm: Ein Menschenkind! Seine Beine waren genau auf meiner Höhe, als ich augenblicklich losließ. Ich hatte Glück und konnte mich schnell an der kurzen Hose des Kindes entlang hangeln. Das Kind fing an, zu laufen, sodass ich beinahe den Halt verloren hätte – doch meine Hinterbeine hielten sich emsig an dem Hosenstoff fest. Als das Kind ruhiger wurde, arbeitete ich mich unbemerkt in Richtung Kniekehlen vor. Hier wollte ich Picknick machen! Ich verharrte dort, ohne dass das unbehaarte, zarte Wesen nach mir griff. Heute schien mein Glückstag zu sein.

Nach einer Weile lief das Kind mit mir in seine Höhle. Als es seine Mutter nach langem Hin und Her in sein Bett gebracht hatte, konnte ich endlich in Ruhe zustechen und essen – auch das kenne ich von euch - wie Gott in Frankreich. Wir waren wie füreinander geschaffen: Sein Blut war die absolute Krönung - eben genauso wie ich. Dass ich auch dem süßen Jungen zusammen mit meinem Speichel ein paar frische Viren schenkte und später über meinen Mageninhalt auch noch ein paar Bakterien hinterher schob, war wirklich nicht beabsichtigt.

Der Junge, dessen Blut eine echte Delikatesse war, war selber ein wahres Schmuddelkind. Kaum kam die Mutter mit dem Waschlappen an, rannte er schon weg. Baden? Keine Chance! Drückte die Mutter dem Jungen die Zahnbürste in die Hand, machte er sie heimlich nass und rieb sich etwas Zahnpasta in den Mund. Seinen müffelnden Atem konnte ich bis zu seinen Kniekehlen riechen. Aber eigentlich konnte ich ja dankbar dafür sein. Wäre er sauberer gewesen, hätten er oder seine Familie mich wahrscheinlich entdeckt. Und dann wäre es mir an den Kragen gegangen. Nein, ich hatte riesengroßes Glück: Der Junge, an dessen Kniekehlen ich voller Inbrunst hing, war ein etwas einfältiger, aber lieber Junge. Die Tage vergingen, ohne dass ich entdeckt wurde. Und jeden Tag ging es raus in die Natur, frische Luft schnappen. Der Junge genoss seine Ferien!


Hilfe, ich werde begattet! - oder: Sport ist Mord

An einem schönen Nachmittag hatte ich allerdings ein höchst merkwürdiges Erlebnis. Mein Wirtsjunge lag unter einem Baum an einer Waldlichtung, um sich auszuruhen, als plötzlich etwas auf mich zu gekrabbelt kam – dem Duft nach war es ein echter Holzbockherr in den besten Jahren! Auch ihn musste mein spezielles Damenparfüm betört haben. Er störte mich zwar bei Trinken, aber weil er nicht aufhörte, zu drängeln, ließ ich ihn zu mir. Er fing an, lustige Turnübungen unter mir zu machen. Irgendetwas daran kam mir bekannt vor – genau, hatte nicht mein Vater dasselbe damals auch mit meiner Mutter gemacht, bevor er ... Kaum hatte ich meinen Gedanken zu Ende geführt, war es schon passiert. Der Herr neben mir streckte plötzlich alle Achte von sich – und war tot. Wie heißt es wieder so schön bei euch Zweibeinern? Sport ist Mord.

Nach diesem reichlich ulkigen Erlebnis hatte ich keine große Lust mehr, an meinem Wirtsjungen kleben zu bleiben. Nach insgesamt zehn Tagen Blutschlecken war ich außerdem voll wie ein Eimer. Ich wog jetzt rund zweihundert mal soviel wie vorher (übrigens ein echter Weltrekord unter uns Tieren). Entsprechend maßlos waren meine neuen Maße. Ich war auf pralle zehn Millimeter, also einen ganzen Zentimeter, angeschwollen. Ein Glück, dass ich im Unterschied zu den männlichen Exemplaren unserer Gattung hinten keinen störenden Schild mehr besaß – er wäre mir sonst glatt um die Ohren geflogen. Für uns Zeckendamen ist es eben ein Leichtes, die Herren der Schöpfung unter den Tisch zu trinken.


Ich werde zur Eierfabrik - oder: Eine Zecke kommt selten allein!

Eines war sonnenklar, diesmal benötigte ich eine ganz besonders lange Erholungspause. Bei nächster Gelegenheit, als der Junge mit seinem Hund wieder einmal durchs Gras stromerte, ließ ich los. Erst, nachdem sie außer Reichweite waren, wagte ich es, mich wieder zu bewegen. Aber was das für eine Bewegung war! Ich schleppte mich mit meinem inzwischen ergrauten Hinterleib und meinem gefühlten 100-Tonnengewicht nur mühsam vorwärts.

Nach einer kleinen Ewigkeit fand ich ein nettes Plätzchen, wo ich bleiben wollte. Kurz darauf versank ich in einen tiefen, wohligen Dämmerzustand.

Wie lange ich dort vor mich hin döste? Ich weiß es nicht. Aber als ich wieder zu Bewusstsein kam, hatte ich ein ungewohntes, schmerzhaftes Ziehen im Bauch – etwas drückte aus mir heraus. Geistesgegenwärtig führte ich das kugelige, bräunliche Etwas mit meinem Mundwerkzeug an einer meiner Drüsen vorbei und versah es mit einer Schutzschicht, um es vor dem Vertrocknen zu bewahren: Es war mein erstes Ei!

Ich hatte es geahnt, aber nicht glauben wollen. Der Herr, der mich an dem Baum besucht hatte, hatte mich tatsächlich zur Mama gemacht. Und die sagenhafte Fruchtbarkeit hatte ich gewiss vererbt bekommen. Denn schon nach etwa zehn Minuten presste ich ein neues Ei aus mir heraus – und immer so weiter, an Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich verteilte die Eier in kleinen Paketen unter das Blattstreu, damit sie geschützt waren. Niemand sollte meine Eier klauen! Anfangs versuchte ich noch, jedes Ei mit zu zählen, doch irgendwann konnte ich nicht mehr. Diese Fließbandarbeit entleerte nicht nur meinen Bauch, sondern auch meinen Kopf. Nach mehr als drei Wochen hatte ich es geschafft. Mein Hinterleib war schlaff wie eine Flunder, ich war zu Tode erschöpft. Dem Schicksal meiner lieben Mutter konnte auch ich nicht entgehen: Ich biss ins Gras und war auf der Stelle tot. Doch ich sollte nicht umsonst gestorben sein. Innerhalb von 4 bis 10 Wochen hatten sich alle meine Larvenbabies voll entwickelt. Und in meinen Kindern wurde ich wiedergeboren. Die Vorwitzigsten unter ihnen schlüpften als erste aus ihren Eiern und machten sich begierig auf in die verheißungsvolle Freiheit.

 

Ja, so war mein Leben als Gemeine Holzbock-Dame. Es war langweilig, anstrengend und unbarmherzig. Die meiste Zeit musste ich hungern. Echte Freunde? Pustekuchen! Als unfreiwillige Tochter der Verdammnis, als lächerlich kleine irdische Höllenfürstin auf Erden sage ich Euch: Seid doch froh, nicht als Zecke auf die Welt gekommen zu sein - damit habt Ihr schließlich jeden Tag einen Grund zum Feiern!

 

© Gudrun Opladen